Glosse: Schwarm mit Charme

Heute: Bus und Bahn -schöner mit Schwarm


Eine überregionale Verkehrsgesellschaft macht den Anfang: sie führt die Schwarmintelligenz in ihr Unternehmensnkonzept und gezielt in den Linienverkehr ein.

Erste Einblicke. Alle Gäste sind eingestiegen und haben Platz genommen. Der Moderator begrüßt die Schar.

"Guten Morgen, liebe Fahrgäste, als Schwarmbeauftragter unserer BusundBahngesellschaft heiße ich euch herzlich willkommen. Schön, dass sich wieder ... Moment ich zähle ... ja , etwa fünfzig Mitfahrö* eingefunden haben."

"Kann man mal die Türen schließen? Es zieht hier ziemlich!" Eine ältere Dame hakt schon jetzt dazwischen.

"Ja, liebes Schwarmmitglied ... ich schlage aber vor, dass wir zunächst unsere Tagespunkte vorstellen und diskutieren ... aber ich gebe den Wunsch natürlich gerne..."
Der Schwarmbeauftrage unterstreicht seine Worte mit einem mitleidigen Lächeln. "... an unseren Busführungsbeauftragten weiter, wobei wir schon beim ersten Tagesordnungspunkt wären: Hat jemand Einwände, dass Fritz unseren wunderschönen Schwarmbus steuert?"

Niemand erhebt Einwände. Innerlich atmet der Moderator auf, denn er kann sich noch gut an die vorletzte Fahrt erinnern, als ein Schwarmmitglied, das vor zwei Wochen seinen Busführerschein erworben hatte und dann als Busführer mit 52 Prozent der Gästestimmen gewählt wurde, sich total verfahren hatte und sich daraus eine hitzige Debatte ergab, mit dem Ergebnis, der Stadtverwaltung einen außerparlamentarischen Antrag zukommen zu lassen mit dem Titel "Wir fordern diskriminierungsneutrale Straßenschilder!".

Heute sieht es gut aus. Alle sind mit Frtz einverstanden. Der bedankt sich über die Sprechanlage mit einem "Danke, vielen lieben herzlichen Dank, liebe Schwarmgemeinde." Wer nahe am Busführerplatz saß, konnte die Freudentränen in seinen Augen wahrnehmen.

"Wann werden denn die Türen geschlossen?", fragt die Dame wieder. Sie ist anscheinend das erste Mal hier, denn das hat sie noch nicht mitbekoommen: Erst Handzeichen, dann die Aufnahme ihrer Wortmeldung in die Liste der angekündigten Wortmeldungen, dann die Freigabe durch den Moderator.

Eine andere Hand steigt in die Höhe. Der Moderator notiert das Ansinnen, muss aber erst seine Begrüßungsgrede zu Ende führen.

"Meine zweite Frage an die Schwarmgemeinde. Wer ist damit einverstanden, dass wir alle und zwar gemeinsam die nächste Haltestelle anfahren?" Etliche Arme schießen in die Höhe. Der Moderator erkennt mehr als die Hälfte und bestätigt. "Damit ist die Fahrt zur nächsten Haltestelle angenommen."

Gerade hat er seinen Satz beendet, da erhebt sich eine Stimme.

"Ein anderer Bus fährt vorbei."

"Mathilde!!!"

Es ist die unüberhörbare Ernmahnung vom Moderator. Denn Mathilde hatte vergessen, sich zu melden.

"Mathilde, Du kennst unser Meldesystem!"

"Entschuldigung", konmt es kleinlaut von Mathilde, worauf aber sogleich ihr Handzeichen folgt.

"Ja, Mathilde?", fragt der Moderator

"Jetzt habe ich vergessen, was ich sagen wollte."

"Na schön, vielleicht fällt es dir später wieder ein ..."

"Ja! Jetzt weiß ich wieder: Der erste Bus ist schon vorbeigefahren!"

Nun schießen mehrere Arme in die Höh'.

Der Moderator notiert. Dann fordert er den ersten der Wortmelder auf. Es ist Manni, der schon Schwarmerfahrung aufweisen kann.

"Spießerbusse. Ordinäre Spießerbusse sind das."

Manni wird mit Applaus bedacht.

Mit Spießerbussen werden die Busse bezeichnet, die immer pünklich abfahren und sehr wahrscheinlich auch ihr Ziel pünktlich erreichen. Dieses erbärnliche Spießertum hat selbstredend mit Schwarmintelligenz nichts zu tun, denn es offenbart die Verleugnung der Mitbestimmung.

"Genau, lass diese Spießerbusse doch losfahren, die werden schon sehen, wo sie ankommen."

Auch dieser Zwischenruf war nicht angemeldet, aber alle akzeptieren, dass manchmal auch ein Meldesystem verletzt werden darf, sofern der Zwischenrufer authentisch bleibt. Deshalb wieder Applaus.

"Ich sehe gerade, dass Heribert zwei Plätze belegt. Kannst Du das bitte erklären", verlangt der Moderator. Heribert musste ob seiner Leibesfülle zwei Plätze buchen. Er hat aber ständig ein schlechtes Gewissen, da ihm von der Schwarmgemeinde bewusst gemacht wird, dass er unsozial handelt, indem er einem anderen den Platz wegnimmt.

Mathilde meldet sich erneut. "Der zweite Bus fährt an uns vorbei!"

Kein Applaus. Der geschulte Moderator vermeidet selber jegliche Kommentare, weil er somit nirgends anecken kann, deshalb ist er auch so beliebt.

"Wir müssen Toleranz üben, also lassen wir die Spießer fahren, wohin sie wollen." Applaus.

Die Dame, die sich die Schließung der Türen aus Zuggründen gewünscht hatte, steht auf und verlässt den Bus. Zwar bemerken das alle, reagieren aber nicht.

Der Moderator signalisiert mit seinem Kugelschreiber die nächste freizugebende Wortmeldung. Georg darf.

"Sorry, aber ich muss meinen Anschlusszug bekommen. Kannst du mir sagen, wann wir losfahren?"

"Lieber Georg, du befindest dich innerhalb der Schwarmintelligenz-Gruppe, da müssen individuelle Wünsche schon mal gelegentlich zurücktreten."

Georg möchte noch was sagen, wird aber von einer Frau neben ihm abgewürgt. "Genau, der Entscheidungprozess wird hier vom Kollektiv vorangetrieben, deine Meinung fließt ja doch in das Gesamtergebnis mit ein. Das nur zu deiner Beruhigung."

Georg guckt gegen die Decke und dann aus dem Fenster.

Eine nächste Wortmeldung wird zugelassen.

"Ich finde es superschön, unter euch sein zu dürfen, ihr seid wie eine zweite Heimat für mich." Applaus. Es ist Elvira, so an die siebzig, die immer im Schwarmbus sitzt und die nun sehr bewegt mit zitternder Stimme sagt, dass es es für sie eine Therapie sei, hier teilnehmen zu dürfen. Applaus.

"Der Weg ist das Ziel!", wirft jemand ein. Applaus.

"Schon wieder fährt einer an uns vorbei!" Wieder Mathilde, die sich anscheinend nicht im Griff hat.

Jetzt bekommt sie richtig Gegenwind.

"Geh doch hin zu den Spießern!"

"Mitbestimmung war wohl noch nie Ding!"

"Frag dich mal. ob du überhaupt in ein Schwarm reinpassen tust."

Nun meldet sich brav ein Schwarmmitglied. Anselm. Er bekommt auch sofort die Sprechfreigabe.

"Ich darf an dieser Stelle mal betonen, ich will mal so sagen ... äh ... diese Diskrepanz zwischen dem spießbürgerlichen Milieu und dem ... ich sach mal ... dem intellektuellen, na ja, ohne überhebllich wirken zu wllen, dem intellektuell und wissenschaftlich fundierten ... hmm .. denkenden Kreis der Mitdenker ... hmmm ..."

Anselm ist ein Studierter, ehemals Lehrer sogar. Er ist schon lange Befürworter des Schwarms und wird vor allem wegen seiner messerscharfen Formulierungstechnik geachtet.

"Ja, vielen Dank Anselm für den wertvollen Beitrag, den wir auf jeden Fall bei der nächsten Schwarmfahrt eingehender diskutieren sollten ... "

Großer Applaus.

Der nächste Beitrag. "Ich bin Bodo, das erste Mal hier, bin Maschinenbauer, schon in Rente, haha, aber ich kann den Ausführungen von Anselm nicht ganz folgen. Tut mir leid, aber ..."

Der Moderator unterbricht. "Können wir das auf die nächste Schwarnfahrt vertagen? Danke."

Georg, der seinen Anschlusszug kriegen möchte, verlässt den Bus. Nicht ohne sich an die Stirn zu tippen. Einige der Schwarmmitglieder schütteln den Kopf.

"Habt ihr das gesehen?"

"Solcherart Gebaren lähmt mich echt total, wirklich. "

"Genau, das zerrt vollumfänglich an unserer Schwarmenergie."

"Da sitzen wir hier friedlich und diskutieren, damit wir im Kollektiv zu einem besseren Ergebnis kommen und dann diese Geste! Abscheulich!"

Dieser Wutausbruch, ja, der Vulkanausbruch, war von dem Herrn mit dem Baseballcappy nicht zu erwarten gewesen. Der sonst ziemlich ruhig dasitzende Herr musste am Nerv getroffen worden sein. Eigentlich will er mit seiner Gatiin gar nicht zur nächsten oder gar zu übernächsten Haltestelle fahren, das Fahrtziel selber ist ihnen egal, sie sind da, weil sie es so gemütlich finden. Der Weg ist ja das Ziel.

"Oh Mann ... die fahren alle pünktlich ab und wir ..." Es ist wieder Mathilde, die einen weiteren vorbeifahrenden Bus gesichtet hat.

"Kommen wir doch bitte auf die Ausgangslage zurück, warum wir überhaupt diskutieren", spricht ein Mitglied in Gesundheitssandalen.

"Du hast Recht, Walter", bestätigt der Moderator, "ich begrüße alle hier Anwesenden ..."

Ganz hinten flüstert ein kritischer Mensch seiner Nachbarin zu: "Und die Nicht-Anwesenden begrüßt er nicht?" Seine Nachbarin, eine wohlgenährte Mitsechzigerin, kichert.

Wie viele andere Märchen würde auch dieses mit einem Spruch enden:

Und wenn sie nicht gestorben sind, so steh'n sie dort noch heute.


* ö = Reform der Gendersprache